Long COVID Physiotherapie: Wobei sie helfen kann und wann sie nichts bringt

"Die Erschöpfung ist doch nur Anstellerei. Denk einfach positiv!” 

"Kopfschmerzen? Mach einfach doch diese drei Übungen! - Wieso brauchst du jetzt eine Sonnenbrille?"

"Dir ist schwindelig und dein Puls rast? Kann doch gar nicht sein! Atme einfach mal tief durch, dann wird es schon!"

Kommen dir solche Aussagen bekannt vor? Du hast ständig das Gefühl, nicht verstanden und ernst genommen zu werden. Wie soll dir dann der Therapeut mit den Beschwerden weiterhelfen?

In diesem Beitrag erfährst du, wo dir die Physiotherapie helfen kann und was du selbst machen kannst

Warum ist bei Long COVID Physiotherapie anders? 

Solltest du 4 Wochen nach einem COVID-19-Infekt noch Beschwerden haben, wird dies als Long COVID bezeichnet. Sind sogar mehr als 12 Wochen vergangen, heißt es ab dann eigentlich Post COVID-Syndrom. Die meisten Menschen bleiben aber dennoch beim gängigen Wort “Long COVID”. Daher verwende ich hier diesen Begriff auch durchgängig.

Die Symptome von Long COVID können recht hartnäckig sein. Das zeigt sich auch in der Therapie. 

Besonders herausfordernd ist die sogenannte Belastungsintoleranz. Das heißt, wenn du aktiv bist, reagiert dein Körper. Die Symptome werden schlimmer. 

Das passiert nicht nur, wenn du dich bewegst. Auch ein plötzliches Gefühl oder ein Gedanke, der dich stresst, kann diese Reaktion hervorrufen. Außerdem können dich z. B. Geräusche, grelles Licht oder viele Menschen überfordern.

Die Symptome können sich sofort oder auch nach bis zu 48 Stunden verschlechtern. Daher wird es dir während der Physiotherapie noch ganz gut gehen. Das beobachtet auch der Physiotherapeut. Wie es dir Stunden nach der Therapie geht, sieht er nicht. Das führt zu einem verzerrten Bild

Bis es bei der Physiotherapie zu einer messbaren Verbesserung kommt, können schnell Wochen vergehen. Außerdem ist das Risiko einer kurz-, mittel- oder langfristigen Verschlechterung gegeben. Daher ist es wichtig, sorgfältig zu sein.


Bei Long COVID bringt Physiotherapie nichts!

Der Effekt der Therapie tritt nur langsam und gerne auch mit zeitlicher Verzögerung ein. Das liegt daran, dass die Regenerationsdauer länger sein kann. In einer kleinen Studie an achtzig ME/CFS-Patienten zeigte sich, dass die Regenerationszeit statt 2 Tage im Schnitt bei 13 Tagen lag. 

Hinzu kommt, dass es bei der Physiotherapie viele unterschiedliche Reize geben kann. Normalerweise reagiert der Körper hauptsächlich auf die Therapie und den Therapeuten selbst. Du kannst aber auch z. B. von Geräuschen, Licht oder der Anfahrt überfordert werden

Long COVID ist eine komplexe Erkrankung, die viele unterschiedliche Symptome haben kann. Treten z. B. Rückenschmerzen, wechselnde Gelenkschmerzen, Schlafstörungen, Gangunsicherheit und Konzentrationsstörungen zeitgleich oder wechselnd auf, wird die Physiotherapie zum Experiment

Wissenschaftliche Nachweise, welche Behandlungen am besten wirken, fehlen bei Long COVID. Dadurch kann sich der Physiotherapeut nicht an Studien orientieren. Die Behandlung ist symptomorientiert.


Bei diesen Long COVID Symptomen kann dir Physiotherapie helfen

Am häufigsten treten bei Long COVID folgende Symptome auf (siehe Leitlinie): 

  • Fatigue
  • eingeschränkte Belastbarkeit
  • Atemnot bei Belastung
  • Kopfschmerzen
  • Muskelschmerzen

Gelegentlich treten auch Husten, Schlafstörungen, psychische und kognitive Symptome auf. Auch Probleme mit dem Herz-Kreislaufsystem oder der Verdauung sind möglich.


Physiotherapie bei Erschöpfung, Schmerzen und Kurzatmigkeit

Die Physiotherapie orientiert sich an den Beschwerden, die du mitbringst. Es ist effektiver, sich hier auf einen Bereich zu konzentrieren.


Das hilft bei Erschöpfung

Wenn du erschöpft bist oder sogar unter Fatigue leidest, empfehle ich dir, es ruhig angehen zu lassen. 

Besonders bei Belastungsintoleranz solltest du innerhalb und außerhalb der Physiotherapie deine Energie einteilen. Aus einer größeren Aktivität werden dann mehrere kleinere. 

Du lernst also während der Therapie einzelne Übungen, die du über den Tag verteilt ausführen kannst. So kannst du die Übungen gut dosieren.

Vermeide es, dich automatisch schrittweise mehr anzustrengen. Beobachte lieber deinen Körper. Erhöhe oder erweitere eine Aktivität oder Übung nur, wenn du spürst, dass es okay ist. 

Wichtig ist auch, dass du nur eine einzige Aktivität oder Übung erhöhst. Steigere nicht mehrere Sachen gleichzeitig

Eine Übung mehr plus ein längerer Spaziergang und noch ein extra Treffen mit Freunden ist verlockend. Oft rächt sich das am Ende. 

Erholen kannst du dich mit einer Atem- oder Entspannungsübung.

So kannst du Schmerzen lindern

Schmerzen lindern, ist nicht immer einfach. Nach dem Üben oder wenn du etwas machst, an das dein Körper nicht gewöhnt ist, kann es zu Schmerzen kommen. 

Einfach und schnell einsetzen kannst du eine Wärme- oder Kältetherapie. Das kann dir auch am Ende der Physiotherapie helfen, bevor du dich nach Hause quälst.

Wenn du hingegen ständig Schmerzen hast, fühlst du dich nicht wohl und kannst dich schlechter bewegen. Trotzdem können dir leichte Übungen helfen.

Gute Erfahrungen habe ich mit der Faszienrolle oder Bällen gemacht. Damit kannst du Schmerzen schnell lindern. 

Abhängig von der Lage der Schmerzen kannst du auch anderes Material sinnvoll einsetzen. Bei Rückenschmerzen kann der Rückenretter effektiv Schmerzen lindern. Dabei brauchst du nur zu liegen.

Hast du schon mal achtsame Ganzkörperbewegungen gemacht? Hierbei achtest du beim Bewegen auf deinen Atem. Du bewegst auch nur so weit, wie es dir angenehm ist. Dadurch kannst du dich entspannen und die Schmerzen lindern. 

Auch andere Entspannungsübungen, Dehnübungen oder diverse manuelle Techniken können dir guttun. 

Nicht immer bringen die Übungen etwas. Auch dein Verhalten und deine Haltung an sich spielen eine Rolle. 

Überforderst du dich? Du willst doch nur noch eben die restliche Wäsche aufhängen? Dabei kriegst du den Arm kaum noch hoch. Am Ende tut dir alles weh.

Oder du zwingst dich, nur noch eben in der Küche zu sitzen, während dein Kind aufisst. Dabei kannst du den Kopf kaum noch halten und du hängst nur noch da. 

Ist es dann wirklich verwunderlich, wenn du mehr Schmerzen hast?

Daher ist es wichtig, genau hinzuschauen und das Problem und die Situation zu analysieren.


Das kann dir bei Husten und Kurzatmigkeit helfen

Musst du ständig husten oder bist du nach wenigen Schritten schon kurzatmig?

Hast du es schon mit Atemgymnastik probiert? In diesem Bereich gibt es Techniken und Übungen. Hiermit kannst du deine Atemmuskulatur stärken, deine Lungenfunktion verbessern und lernen, effektiver zu atmen.

Wichtig ist, Tag und Nacht für eine ausreichende Sauerstoffsättigung zu sorgen. Um die Sauerstoffsättigung zu verbessern, ist eine passende Körperhaltung von Vorteil. 

Auch ein passendes Ausdauertraining kann helfen, fitter zu werden. 

Ein Thema, was besonders bei Kurzatmigkeit wichtig ist, ist die Angst. Auf der einen Seite kann Angst zu Atembeschwerden führen. Und andersherum kann Kurzatmigkeit natürlich auch Ängste auslösen. Wichtig ist daher auch hier einen guten Umgang in der Physiotherapie zu erlernen. 


Hiermit kannst du Schritt für Schritt fitter werden

Wie bei anderen Erkrankungen ist es auch bei Long COVID sinnvoll, einen Plan zu haben. 

Dieser Plan kann, wie gesagt, keine kontinuierliche Steigerung beinhalten. Ein Physiotherapeut kann dir dabei zur Seite stehen. Wenn du meine Hilfe möchtest, findest du hier weitere Informationen.

Steigere eine Aktivität oder Übung nur, wenn deine Beschwerden in den letzten 7-14 Tagen nicht zugenommen haben. 

Wie lange dauert es, bis das so weit ist? Das hängt von deinem Körper ab. Pacing hilft dir, die Energie gut einzuteilen.


Was wird konkret in der Physiotherapie bei Long COVID gemacht?

Auch diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Dafür ist das Leben nach einer Covid-19-Infektion zu unterschiedlich. Von bettlägerig bis noch nur eingeschränkt arbeitsfähig oder einfach "nur" oft krank ist alles möglich. 

Wenn du nur liegen kannst oder viel liegen musst, wäre hier etwas Sanftes angebracht. Dafür ist ein Hausbesuch notwendig.

Für den Anfang kannst du Übungen im Liegen machen. Auch das Aufsetzen wäre erstrebenswert. Bedenke aber, dass nur eine einzige kleine Änderung möglich ist. Außerdem brauchst du zwischen den Trainingseinheiten ausreichend Pause. Das können Stunden, Tage oder Wochen sein! 

Erst wenn die neue Aktivität zur Routine geworden ist, kannst du steigern.

Kannst du zwar fast den ganzen Tag lang sitzen, aber nur sehr wenig stehen und kaum ein paar Schritte gehen, dann wäre an dieser Stelle der Übungsbedarf. 

Was wäre wichtiger für deinen Alltag? Fällt dir das Gehen oder Stehen leichter? Leidest du unter einem stark erhöhten Puls, sobald du aufstehst?

Abhängig von deinen Antworten würde ich mit dem einen oder anderen starten.

Beachte beim Stehen und Gehen, dass bei einer Belastungsintoleranz zusätzliche Reize die Symptome verschlechtern können. Es ist ein Unterschied, ob du am Bett, Fenster oder in der Küche stehst. Auch die Dauer macht einen großen Unterschied. Stehst du weniger als eine Minute, dann kann der Reiz leichter verarbeitet werden. Wenn dein Puls stark ansteigt, solltest du dich zwischendurch immer wieder hinsetzen.

Beim Gehen spielen das Tempo und die Schrittlänge eine große Rolle. Auch hier kann Stehenbleiben helfen, um die Dosis zu reduzieren. Genaueres kann ein erfahrener Physiotherapeut dir dazu raten.

Beachte auch, dass jedes Gespräch ein zusätzlicher Reiz sein kann, der dich überfordert. Auch die Reize aus der Umgebung können eine Rolle spielen. Es macht einen Unterschied, ob du bei dir zu Hause oder durch einen belebten Praxisflur mit Hindernissen gehst.

Wie sicher bist du beim Gehen? Bist du eher wackelig auf den Beinen? Hast du das Gefühl, kaum Kraft zu haben? All das kann dich stören. Auch ein Schwindelgefühl kann deine Unsicherheit noch verstärken. Außerdem können Gleichgewichtsprobleme auftreten. All das kannst du mit der Physiotherapie nach und nach verbessern.

Kannst du nur kurze Strecken gehen? Auch die Ausdauer lässt sich in der Therapie steigern. 

Im Alltag geht es leider nicht immer geradeaus. Das Bewältigen von Stufen oder Treppen gehört dazu. Oder ist es für dich schwieriger, einen kleinen Hügel hinaufzukommen? 

Schwierig kann es auch sein, die Körperhaltung zu verändern. Mal eben bücken und die Geschirrspülmaschine ausräumen, kann dich überanstrengen. Daher ist es sinnvoll, auch solche Alltagsabenteuer in der Therapie zu schulen - natürlich unter Berücksichtigung der Grenzen.

Hast du hingegen Probleme bei der Ausführung deines Berufes, wird überlegt, was du genau brauchst. Damit kannst du dich auch an diese Herausforderungen schrittweise heranführen.


Meine Erfahrung als Physiotherapeutin und selbst Betroffene

Als ich im Januar 2022 an Corona erkrankte, war ich naiv. Ich dachte, dass ich die Langzeitfolgen einfach so weg trainieren könnte. Das klappte auch. Und es klappte nicht. 

Da waren immer seltsame Phänomene. Mein Körper brauchte länger. Er reagierte verzögert. Dann machte er wieder, was er wollte und ich musste mich ausruhen.

Und trotzdem war klar: Ich musste die Grenzen erkennen. 

Okay. Das ging noch irgendwie. 

Aber wie akzeptiert man die Grenze, wenn man in der Schlange wartet und nicht mehr stehen kann? 

Oder man schaut der Tochter zu, wie sie auf der Bühne ihr Stück vorträgt. Doch die vielen Leute, die Lautstärke und das Licht sind zu viel.

Ein Video kann man leicht auf Pause setzen. Das Leben nicht.

Gut, es gibt Tage, da kann man die Kräfte einfach einteilen. Badezimmer putzen in drei Etappen. Kein Problem. 

Doch dann klingelt es an der Tür und man eilt nach unten. Der Körper zeigt sein Missfallen. Die Nase kribbelt. Der Nacken brennt. Doch das Fenster im Badezimmer ist noch offen. Also wieder nach oben.

In der Theorie ist das alles ganz einfach. Da kommt auch nichts dazwischen. Da kommen keine Fragen, weil man wieder langsam und tastend geht. Da gibt es keine Ratschläge wie: "Denk doch mal positiv!" 

Mit Long COVID gibt es viele emotional aufgeladene Momente. Wenn auf der Party die 70-Jährigen den ganzen Abend tanzen, während du selbst auf der Bank sitzt und damit kämpfst, aufrecht zu sitzen. Irgendwie willst du mithalten oder zumindest nicht alles im Leben verlieren. 

Doch wie geht das?


Das kannst du selbst tun, um die Physiotherapie zu unterstützen

Jedes Leben ist anders. Jeder Körper ist anders. Jede Krankengeschichte verläuft anders. 

Was ich aber in meinem Beruf gelernt habe: Wenn du selbst etwas tust, bist du besser dran. Deshalb möchte ich dich unterstützen. 

Ich verfolge ein einfaches Prinzip: analysieren, testen, umsetzen.

Mit dieser Methode gehst du auf Nummer sicher.


a) Was ist aktuell dein Problem?

Ich weiß, wenn man Long COVID hat, gibt es viele Baustellen. Schau sie dir einmal an. Wähle eine Baustelle aus und erkunde diese. Am besten ist es auch, wenn du deinen jetzigen Zustand irgendwie messen kannst. Dann kannst du das Ergebnis später besser auswerten und vergleichen.

b) Teste eine passende Strategie.

Wie ich sagte, ist es hilfreich, einen Plan zu haben. Damit ich weiß, ob eine Strategie helfen kann, teste ich diese schon früh. 

Bei Long COVID solltest du aber nicht zu ungeduldig sein oder vorschnell falsche Rückschlüsse ziehen. Es kann sein, dass die ersten positiven Ergebnisse etwas auf sich warten lassen.

c) Setze kontrolliert um.

Wenn du eine Strategie gefunden hast, dann ist es wichtig, am Ball zu bleiben. Wechselst du ständig die Strategien oder arbeitest an unterschiedlichen Baustellen, wird es schwierig. Du kannst dann nur schwer ein Ergebnis erkennen.

Mit kontrolliert meine ich auch, dass du auf messbare Ergebnisse achtest. 


Beispiel: Du willst endlich wieder zu Fuß zum Supermarkt. Das sind zwar nur 500 m, aber im Moment schaffst du es nicht.

zu a) Nach jedem Besuch im Supermarkt hast du 24 Stunden später stärkere Symptome.

zu b) Du startest mit einem sechs-minütigen Gehtraining. Am Anfang fällt es dir schwer. Du kannst nur sehr langsam gehen und brauchst zwischendurch Pausen. Immerhin schaffst du die Strecke von ca. 10 Metern in dieser Zeit 5 Mal.

zu c) Nach vier Wochen fällt es dir leichter zu gehen. Du schaffst es inzwischen sogar täglich. Zwar musst du immer noch mindestens einmal kurz stehen bleiben, um deinen Puls zu beruhigen, aber du schaffst die Strecke 30 Mal. Und du brauchst dich nicht mehr zwischendurch hinzusetzen.

Damit wärst du deinem Supermarkt schon ein ganzes Stück näher. 


Möchtest du besser mit Long COVID leben? Dann informiere dich hier, wie es dir gelingen kann.