ME/CFS: Was ist das und ist Training wirklich immer schädlich?

ME/CFS kann dein Leben stark einschränken. Dabei lässt sich die Erkrankung in keinem bildgebenden Verfahren nachweisen. Das würde dich als ME/CFS-Erkrankte enorm entlasten. Denn lange wurden sie als psychisch krank eingestuft und sogar falsch behandelt. Vielleicht kämpfst du sogar regelmäßig mit der Stigmatisierung.

Auch unter der skandalösen PACE-Studie aus dem Jahr 2011 leiden die Betroffenen bis heute. Die Ergebnisse haben die Menschen verunsichert. In dieser Studie wurde unter anderem ein ansteigendes körperliches Training eingesetzt. Das Ziel war, mit einem Training Menschen mit dem Chronischen-Fatigue-Syndrom zu helfen. Eigentlich ist das ein guter Ansatz und ein gutes Ziel. Allerdings führte das Training bei zu vielen Teilnehmern mit einer Belastungsintoleranz (PEM) zu einer Verschlechterung.

Dabei ist dein Problem nicht, dass du nicht wollen würdest. Vermutlich bist du erschöpft. Dir geht schnell die Energie aus. Und du kämpfst mit einer Reihe von Symptomen. Wie sollst du da noch trainieren?

In diesem Beitrag informiere ich dich sachlich - ohne die Erkrankung zu verharmlosen. 

Was ist ME/CFS?

Me/CFS oder auch Myalgische Enzephalomyelitis oder das Chronische Fatigue Syndrom genannt, ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung

Neuroimmunologisch bedeutet, dass das Immunsystem oft überaktiv oder dysreguliert ist. Das kann zu Entzündungsreaktionen im Körper führen. Gleichzeitig scheinen einige Funktionen des Nervensystems gestört zu sein. Hierdurch können z. B. lebenswichtige Funktionen wie Blutdruck, Herzfrequenz, Verdauung oder der Schlaf-Wach-Rhythmus nicht mehr richtig reguliert werden.

Auch wenn im Namen “Chronisches Fatigue Syndrom” das Wort Fatigue steckt, heißt es nicht, dass es hier einfach nur um eine im Allgemeinen harmlose Erschöpfung geht. 

Die Krankheit “Chronisches Fatigue Syndrom” ist viel komplexer. Sie bedeutet für die Erkrankten je nach Schweregrad eine große Einschränkung in ihrem Leben. Es geht nicht um eine harmlose Erschöpfung, die jeder von uns kennt. Belastend ist, dass du normale alltägliche Aktivitäten, wie das Aufstehen oder zur Arbeit gehen, nicht kannst.

Charakteristisch für ME/CFS ist die sogenannte Belastungsintoleranz. Diese wird auch PEM - Post-Exertionelle Malaise - genannt. Die Belastungsintoleranz bedeutet, dass dein Körper zu hohe Belastungen und auch Trainingsreize nicht verarbeiten kann. 


Beispiel Mirja Machtdoch: Mirja wäre gerne sehr aktiv. Sie ist auch stolz, weil sie ein bis zwei Stunden am Tag alleine unterwegs sein kann. Trifft sie sich aber mit Freunden, ist sie schnell erschöpft.

Es kommt dabei zu einer Verschlechterung der Symptome. Ihre Nase kribbelt verstärkt. Ihr ist z. B. ständig schwindelig und ihr fällt das Gehen schwerer. Will sie z. B. einen Einkaufszettel schreiben, braucht sie dabei länger und vergisst mehr. 

Diese Verschlechterung tritt meistens nach Stunden oder am Folgetag auf. Sie ist auch mindestens nach 14 Stunden noch spürbar und hält oft für mehrere Tage oder Wochen an. Das belastet nicht nur Mirja sehr. 


Beispiel Karla Kannicht:

Schon das Zähneputzen fällt Karla schwer. Nachdem sie sich angezogen hat, muss sie sich gleich hinlegen. Sie hat keine Kraft mehr. Würde Karla trotzdem versuchen, sich Frühstück zu machen, würde sie crashen. Sie könnte dann tagelang das Bett überhaupt nicht verlassen.


Aber hält das nur bei Mirja so lange an?

In einer Studie aus dem Jahr 2023 wurde die Erholung von 80 Personen mit ME/CFS nach einer sportlichen Betätigung ermittelt. Sie erfüllten alle die Kanadischen Konsenskriterien. In der Kontrollgruppe waren 64 gesunde, aber sportlich unregelmäßig aktive Personen. 

Die Erholungsspanne der ME/CFS-Erkrankten dauerte 1-64 Tage. Wobei sich ein Teilnehmer nach über einem Jahr noch nicht von der Belastung erholt hatte. Bei weniger als 10 % der Erkrankten dauert die Erholungsphase länger als drei Wochen.

Im Vergleich dazu erholten sich die gesunden Personen innerhalb von 1-10 Tagen. 

Fazit: Im Schnitt brauchte eine gesunde Person 2 Tage und eine Person mit ME/CFS durchschnittlich 2 Wochen. 


ME/CFS: Symptome

Die Symptome von ME/CFS können so unterschiedlich sein, dass sie auf den ersten Blick nicht zu einer Krankheit zu gehören scheinen.


Folgende Beschwerden treten bei ME/CFS häufig auf:

  • Chronische Erschöpfung oder Müdigkeit, die länger als sechs Monate anhält und nicht durch Ruhe oder Schlaf gelindert wird
  • Belastungsintoleranz (PEM)
  • Muskel- und Gelenkschmerzen, die sich nach körperlicher oder geistiger Anstrengung verschlimmern können
  • Schlafstörungen wie Schlaflosigkeit, unruhiger Schlaf oder nicht erholsamer Schlaf.
  • Orthostatische Intoleranz, was Schwindel oder Benommenheit beim Stehen oder Sitzen verursacht
  • Gedächtnisprobleme oder Konzentrationsstörungen, die oft als "Brain Fog" bezeichnet werden
  • Halsschmerzen oder empfindliche Lymphknoten, insbesondere im Hals- und Nackenbereich
  • Kopfschmerzen oder Migräne, die sich bei körperlicher und geistiger Anstrengung verschlimmern können 
  • Muskelschwäche oder Taubheitsgefühl in den Extremitäten
  • Bewegungskoordinationsstörungen
  • Bauchschmerzen, Verdauungsstörungen oder Magen-Darm-Beschwerden
  • Übelkeit oder Appetitlosigkeit
  • Niedriger Blutdruck oder Herzrasen
  • Temperaturdysregulation, was zu starkem Schwitzen oder Kälteempfindlichkeit führen kann
  • Empfindlichkeit gegenüber Licht, Lärm oder anderen sensorischen Reizen
  • Hautausschläge oder juckende Haut, ohne offensichtliche Ursache
  • Depressionen, Angstzustände oder Stimmungsschwankungen
  • Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen
  • Sehstörungen, wie verschwommenes Sehen oder Lichtempfindlichkeit
  • Reizdarmsyndrom oder andere Verdauungsstörungen
  • Atemprobleme oder Kurzatmigkeit
  • Wortfindungsstörungen oder Sprachprobleme
  • Lesestörungen
  • geringe Stresstoleranz


Wie wird ME/CFS diagnostiziert?

Die Symptome sind auf den ersten Blick vielfältig. Dennoch gibt es klare Kriterien für die ME/CFS Diagnose. Bei ME/CFS steht immer die schwere körperliche Erschöpfung mit der zeitverzögerten Belastungsinteroleranz im Vordergrund. 

Mit den Kanadischen Konsenskriterien lässt sich eigentlich rasch auswerten, ob das chronische Fatigue-Syndrom vorliegt oder nicht. Trotzdem erfordert eine sorgfältige Diagnosestellung viel Aufmerksamkeit. Denn bis heute fehlen sogenannte Biomarker, die ausreichend Sicherheit geben, ob es sich um ME/CFS handelt.

Es könnte auch sein, dass eine andere Krankheit hinter den Symptomen steckt. Das muss ausgeschlossen werden und dauert häufig. 

Zwar ist eine erste Anamnese schnell abgenommen und auch eine körperliche Untersuchung gemacht. Aber Blutuntersuchungen, MRT-Aufnahmen und das Hinzuziehen von anderen Fachärzten dauert dann doch. 

Erst nach diesen Tests kann die Diagnose ME/CFS zuverlässig gestellt werden.


In welche Schweregrade wird ME/CFS eingeteilt? Und warum ist diese Einteilung wichtig?

ME/CFS ist nicht ME/CFS. Zwischen den unterschiedlichen Schweregraden liegen Welten. Schätzungsweise ein Viertel der Betroffenen kann das Haus nicht mehr verlassen. 60 % der Erkrankten sind arbeitsunfähig. Und besonders, wenn es um das Bewegen geht, ist diese Einteilung wichtig. 

Es macht im Training einen Unterschied, ob es sich z. B. um Karla oder Mirja handelt. 

Welche Übungen sind für wen hilfreich? Wen würden sie überfordern? Welche Dosis ist sinnvoll und was wäre ein unnötiges Risiko? Diese Fragen lassen sich durch die Einteilung in Schweregrade besser beantworten.

Trotz allem kann der Schweregrad auch über die Zeit stark schwanken. Leicht heißt hierbei aber auf keinen Fall, dass die Beschwerden minimal sind. Auch eine leichte ME/CFS geht mit starken Einschränkungen einher.


Personen mit leichter ME/CFS:

  • haben ein ca. 50 % geringeres Aktivitätsniveau als vor der Erkrankung
  • können sich aber frei bewegen und selbst versorgen
  • können häufig mit einigen Anpassungen arbeiten oder zur Schule gehen (wobei sie anschließend Zeit zum Ausruhen brauchen)


Personen mit moderater ME/CFS:

  • können den Alltag nur mit Einschränkungen und Hilfe bewältigen
  • können sich nur eingeschränkt bewegen
  • sind in der Regel arbeits- oder schulunfähig
  • brauchen häufige Ruhezeiten
  • schlafen nachts schlecht


Personen mit schwerer ME/CFS:

  • können die Wohnung kaum noch verlassen
  • sind häufig auf einen Rollstuhl angewiesen
  • haben eine ausgeprägte Erschöpfung
  • können sich kaum bewegen und alltägliche Aktivitäten schaffen
  • haben schwere Schmerzen und können nur schwer Gespräche verstehen, lesen oder andere geistige Fähigkeiten nutzen


Personen mit sehr schwerer ME/CFS:

  • können kaum selbstständig essen oder auf die Toilette gehen
  • häufig bettlägerig und auf Pflege angewiesen
  • schon das Sitzen oder Sprechen kann die Symptome verschlechtern


Welche Behandlung hilft bei ME/CFS?

Aktuell gibt es noch keine Therapie, die gegen die Ursache von ME/CFS wirkt. Trotzdem gibt es einige Medikamente, die derzeit erprobt werden oder bereits als Off-Label-Therapie zur Verfügung stehen. Hinweise zu Medikamenten kann dein Arzt in diesem Ärzteportal finden.

Meine zwei Tipps:

  1. Konzentriere dich auf alles, was deine Symptome lindern kann.
  2. Halte die Grenzen deiner Belastbarkeit ein. 


Warum ich das weiß?

Seit zwei Jahren habe ich selbst ME/CFS. Darüber hinaus habe ich mit vielen Betroffenen gesprochen und reichlich Erfahrung gesammelt. Deshalb vermute ich, dass sich bei ca. 80 % die Erkrankung stabilisieren und in vielen Fällen langsam verbessern lässt. 

Wie? Mit einem besseren Umgang und ggf. einem auf sie zugeschnittenes “Training”.

Warum und wie genau? Das erkläre ich dir jetzt.


ME/CFS: Training - Das geht gar nicht! Oder vielleicht doch?

Vielleicht stellen sich bei dir schon die Nackenhaare auf, sobald du das Wort “Training” überhaupt hörst. Das Bild der Überforderung hat sich in viele Köpfe eingebrannt. Es geht mit der Sorge einher, dass sich der Zustand dauerhaft verschlechtern könnte.

In der Video-Serie zeige ich dir:

  • wann es zu einer Verschlechterung kommt, 
  • was du dagegen tun kannst 
  • und wie du deine Strategie findest, damit es besser wird. 


Damit kannst du besser verstehen, wie du die dauerhafte Überforderung vermeiden kannst und was dir hilft. 

Bei ME/CFS kann es nach einer Belastung zeitverzögert zu einer Verschlechterung kommen. Das ist vermutlich das, was du kennst. Doch unter diesem Offensichtlichen passiert einiges. Das Wissen kann dir helfen, dich und deinen Körper besser zu verstehen. Damit kannst du besser mit ME/CFS umgehen.

Ich möchte dir mit dem Modell der Superkompensation auch erklären, was bei ME/CFS anders ist. Damit verstehst du, was du tun kannst, um eine Verschlechterung zu vermeiden. Mit der richtigen Strategie kannst du dem entgegenwirken und vielleicht sogar eine Verbesserung erzielen.

Doch wie geht das?

Jeder von uns hat ein Ausgangsniveau. So fit bist du gerade. Bei gesunden Personen liegt das Ausgangsniveau über dem Niveau der alltäglichen Belastungen.  

Nach einer höheren Belastung tritt unmittelbar eine Ermüdung ein. Die Belastbarkeit nimmt ab. Bei gesunden und fitten Personen liegt die Belastbarkeit aber weiterhin deutlich über dem Niveau der alltäglichen Aktivitäten. 

Nach der Erschöpfung kommt es automatisch zur Erholung. Nach 24-48 Stunden ist damit meistens eine Überkompensation eingeleitet. Der Körper ist also stärker als vorher. 

Bei ME/CFS gibt es 4 Unterschiede:

  1. Ausgangsniveau oft nur geringfügig über dem der alltäglichen Aktivitäten
  2. nach einer ersten Ermüdung kommt es zeitverzögert zu einer weiteren Verschlechterung
  3. alltägliche Aktivitäten grätschen in die Erholung hinein 
  4. die Erholung braucht bei Personen mit ME/CFS länger 


Die Einzelheiten habe ich im 1. Video ausführlich erklärt.

Was kannst du tun?

  • Passende Übung/ Aktivität auswählen
  • Richtige Dosis wählen
  • Ausreichend effektive Pausen pflegen
  • Pausen automatisch einplanen und nicht erst bei einer Symptomverschlechterung oder Erschöpfungsanzeichen


Hierzu findest du tiefergehende Erklärungen im 2. Video.

Wie findest du deine passende Strategie?

Um die passende Strategie zu finden, gehe ich mit meinen Kunden gezielt die drei Schritte durch. Das empfehle ich dir auch, denn eigentlich ist es sehr leicht.

Wir starten mit einer Analyse der Situation. Daraus ergibt sich meistens sehr konkret eine Aktivität, die du ausprobieren kannst. Dazu legst du eine möglichst passende Dosis fest. Damit du wirklich Erfolg hast, solltest du etwas Messbares wählen. Im dritten Video habe ich dir dazu zahlreiche Tipps gegeben.

Wenn du messen kannst, was du tust, ist es leicht zu optimieren. Wenn du gerne Kaffee mit Zucker trinkst, könntest du den Zucker einfach in den Kaffee schütten oder einen Löffel nehmen. Wenn dir der Kaffee anschließend zu süß ist, weißt du, dass du besser nur einen halben Löffel nimmst. Und sollte dir der Kaffee sehr gut schmecken, kannst du ihn beim nächsten Mal genauso machen.

Im Training ist das genauso sinnvoll. Einer der häufigsten Fehler ist, blindlings irgendetwas zu tun und nur auf die Reaktion des Körpers zu warten. Gerade bei ME/CFS, wo es zu einer zeitlich verzögerten Verschlechterung kommt, ist das nicht klug. 

Achte lieber darauf, dass deine Aktivität im grünen Bereich ist. Fühlst du dich jetzt von den vielen Tipps und Gedanken wie erschlagen? Keine Sorge, suche dir einen Punkt heraus und setze diesen um. 

Und wenn du Hilfe brauchst, dann buche dir am besten gleich ein Gespräch. Im Gespräch erfährst du, wie es für dich weitergehen kann.